Über das verschwinden der Warenhäuser, die Zukunft der Shoppingcenter und warum das Einkaufserlebnis für Shopping Places und Innenstädte eines der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist.
Ein Interview von Christian Wüthrich, Redaktor, Zürcher Unterländer
Das Ende von Jelmoli lässt aufhorchen. Am Flughafen und in der Zürcher In- nenstadt verschwinden Läden und zahlreiche Jobs. Marcel Stoffel ist der Mister Shoppingcenter der Schweiz. Als ehemaliger Chef des umsatzstärksten Einkaufszentrums im Land – des Glattzentrums in Wallisellen, wo Jelmoli schon früher verschwand – kennt er die Bedürfnisse und Verhältnisse des Retailmarktes.
Herr Stoffel, das Ende von Jelmoli hat viele überrascht. Auch Sie?
Nein, das war abzusehen. Überrascht bin ich über den Zeitpunkt, dass es schon jetzt so weit ist. Dazu ist zu sagen, dass mich aktuell in der Branche fast nichts mehr wirklich überrascht. Die Dynamik der Veränderungen ist sehr hoch.
Woran konnten Sie das sich abzeichnende Aus von Jelmoli erkennen?
Da gibt es drei Hauptgründe. Der erste ist die generelle Marktentwicklung im stationären Handel. Sinkende Umsätze und ein verändertes Einkaufsverhalten. Warenhäuser sind von dieser Entwicklung, ähnlich wie Shoppingcenter, besonders betroffen. Zweitens liegts am Wettbewerb. Globus hat massiv investiert und sich sehr erfolgreich positioniert. Durch die Eigentümer profitiert Globus stark von der Zusammenarbeit mit den begehrten Luxusmarken und hat sich damit einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Jelmoli verschafft. Und der dritte Grund ist, dass die Eigentümerin von Jelmoli und dem Jelmoli-Haus eine börsenkotierte Immobilienfirma ist und keine Warenhausbetreiberin.
Wieso geht das nicht einher?
Das Ziel eines Immobilienunternehmens ist es, möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften und den Wert der Immobilie zu steigern respektive das Potenzial auszuschöpfen. Aus dieser Perspektive ist es nachvollziehbar, dass die Eigentümerin Swiss Prime Site nun eben diesen Schritt gewählt hat und einen Umbau samt Umnutzung plant.
Nach Manor verschwindet nun auch Jelmoli: Was ist genau das Problem?
Ein Warenhaus kann heute nur dann wirtschaftlich betrieben werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorhanden sind. Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Faktoren ein entsprechend grosses Einzugsgebiet, hohe Kaufkraft und Kaufbereitschaft, genügend vorhandenes Marktpotenzial, eine entsprechende Wettbewerbsfähigkeit, vernünftige Miet- und Personalkosten und konsumentenfreundliche Öffnungszeiten.
Welche Rolle spielt der Digitalhandel im Internet dabei wirklich? Früher gabs ja auch einen Versandhandel ...
Der Onlinehandel macht in der Schweiz nur rund 12 Prozent am gesamten Detailhandelsumsatz aus. Also offensichtlich ein kleines Umsatzstück am gan- zen Retailkuchen. Nüchtern betrachtet ist Onlineshopping nichts anderes als eine Möglichkeit, sich etwas nach Hause schicken zu lassen. Eine eher technische Angelegenheit. Anders beim stationären Handel. Er belebt die Innenstädte, schafft soziale Treffpunkte und ist Teil unserer Freizeit geworden. Shopping, oder «go shoppe», ist eben mehr als nur einkaufen.
Aber gerade die Innenstädte als soziale Treffpunkte drohen doch mit mehr Büros anstelle von Läden an Attraktivität zu verlieren und auszusterben.
Wichtig für belebte Städte sind attraktive Angebote wie Handel, Gastronomie, Freizeit, Dienstleistungen und Services. Wenn grosse Gebäude, wie zum Beispiel Jelmoli oder der Brannhof, da wo einst Manor drin war, umgenutzt werden, zeigt sich das besonders. Da ist es von grosser Bedeutung, dass auch in Zukunft die Erdgeschossflächen und Fronten mit den entsprechenden Nutzungen besetzt werden, welche eben diese Belebung mit sich bringen.
Wenn die Innenstädte an Attraktivität einbüssen, müsste das ein Vorteil sein für Shoppingcenter wie das Glattzentrum am Stadtrand, wo Sie einst Chef waren, nicht?
Das ist eine gute Frage. Ich denke nicht, weil sich die Beweggründe, in die Innenstadt zu gehen, nicht mit dem Besuch eines Shoppingcenters decken. Dafür sind die Rollen zu unterschiedlich. Zudem gibt es aus meiner Erfahrung Menschen, die grundsätzlich nicht in Shoppingcenter gehen.
Wegen der Shoppingcenter würden die Innenstädte aussterben, hiess es einst. Jetzt scheint der heisslaufende Immobilienmarkt dies zu übernehmen.
Ich glaube nicht daran, dass die Innenstädte aussterben werden, egal wer daran schuld sein soll. Die Branche hat die Zeichen der Zeit erkannt und trifft entsprechende Massnahmen. So werden immer häufiger sogenannte «City- Manager» eingesetzt, welche sich darum kümmern, dass die Innenstädte belebt werden und attraktiv bleiben. Eine sehr spannende und interessante Aufgabe, wie ich finde.
Die Schweiz weist seit Jahren schon eine vergleichsweise hohe Dichte an Shoppingcentern auf. So auch im Unterland. Sehen Sie auch zunehmend Einkaufszentren in Gefahr?
Es kann dann zur Gefahr für die Shoppingcenter werden, wenn man nichts dagegen unternimmt. Wenn man sich nicht permanent an die neuen Marktentwicklungen anpasst und sich ständig weiterentwickelt. Da gibt es schon grosse Unterschiede. Einige Center in der Schweiz haben diesbezüglich schon ziemlichen Handlungsbedarf, ohne hier Namen zu nennen.
Was sind denn Erfolgsgaranten für ein Shoppingcenter, wenn es künftig überleben will?
Diese Frage nach den Erfolgskriterien für Shoppingcenter wird mir sehr oft gestellt. Es ist eine sehr wichtige und zentrale Frage, die auch mich schon seit langer Zeit beschäftigt und auch weiter beschäftigen wird. Um die Frage wissenschaftlich zu beantworten, müsste ich darüber ein Buch schreiben, weil das Thema sehr komplex ist. In der reduziertesten Form lautet meine Antwort immer: Ein Shoppingcenter oder eine Einkaufs- oder Freizeitdestination benötigt eine hohe Anziehungskraft durch ein relevantes Angebot und eine hohe Aufenthaltsqualität mit einem stimmungsvollen Ambiente und einer po- sitiven Atmosphäre. Das tönt simpel, ist aber schwer umzusetzen.
Das Einkaufserlebnis ist einer der wichtigsten Erfolgskriterien überhaupt für Shopping Places, Innenstädte und Retail Destinationen.
Früher lockten Events zum Shoppen, und Sinnlichkeit prägte die Angebotspräsentation. Spielt das künftig keine Rolle mehr?
Aber natürlich. Das Einkaufserlebnis ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt für Shoppingcenter, Warenhäuser und die ganze Retailbranche. Es ist ein grosses Thema, weil genau das eine immer grössere Bedeutung bekommt. Wir Menschen sind gefühlsgetrieben, ob man das glauben will oder nicht. 80 Prozent der Einkäufe werden spontan getätigt, also aus einer Stimmung heraus. Da ist es logisch, dass man Menschen auch über die Sinne anspricht. Tönt einfach, ist es aber überhaupt nicht.
In unserer Region gibt es mit dem Glattzentrum und dem Flughafen zwei ganz grosse Shopping-Magnete. Wie sehen Sie deren Zukunft?
Ich habe immer noch eine starke Verbundenheit mit dem Glattzentrum und bin auch oft dort. Und wenn es sich ergibt, tausche ich mich auch gerne mit dem jetzigen Glatt-Chef, Rageth Clavadetscher, aus. Mein Eindruck gibt mir ein gutes Gefühl, dass das Glatt in eine erfolgreiche Zukunft geführt wird. Dasselbe gilt übrigens auch für den Flughafen. Dort ist ja mein direkter Nachfolger als Glatt-Chef, Stefan Gross, als Chief Commercial Officer verantwortlich. Auch mit ihm habe ich einen regen Austausch, und was ich jeweils bei meinen Besuchen sehe, gefällt mir sehr gut. Der Flughafen hat eine sehr hohe Qualität in Bezug auf das Angebot und das Ambiente, und für mich ist ein Besuch dort immer ein positives Erlebnis.
Dieses Interview erschien am 11.02.2023 im Zürcher Unterländer. https://www.zuonline.ch/go-shoppe-ist-mehr-als-nur-einkaufen-111461926309
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